Von neuen Ideen, Zwiebelrostbraten und Kreuzzüglertum
Ein halbes Jahr ist es her, dass Karin von GOOD SOULS mit ihrem Beitrag unseren #wwtbf-Blog eröffnet hat. Nun haben wir uns wieder mit ihr getroffen − den Umständen entsprechend natürlich zum Online-Meeting − und haben sie gefragt, wie es ihr im “Corona-Jahr 2020” so ergangen ist …
Seit dem 2. November ist “Lock-Down 2.0” angesagt. Beeinträchtigt dich diese Situation beruflich und/oder privat?
Ach, eigentlich kann ich nicht sagen, dass ich „beeinträchtigt“ wäre. Klar, mir fehlt, dass wir nicht mit Freunden in unsere Lieblingsgasthäuser gehen können, Most trinken, Zwiebelrostbraten essen oder Speck vespern, Blödsinn reden, sich gegenseitig veräppeln. Ich springe nicht mal kurz bei einer Freundin vorbei auf einen Kaffee. Naja, insgesamt ist man halt gehemmt und innerhalb der Familie vorsichtig. Aber das ist alles halbwegs erträglich, wir sind ja nicht eingesperrt. Und auf dem Land ist die Situation auch nicht so dauerpräsent: Wenn ich beispielsweise im Wald wandere, rennen gehe oder mit dem Mountainbike unterwegs bin, treffe ich sowieso selten auf jemanden – das war auch schon vor dem Lockdown so. Die Dauer der Einschränkungen ist anstrengend.
Karin, denkst Du, dass sich durch Covid 19 dauerhaft etwas an unserer Lebensqualität ändern wird?
Unsere Lebensqualität wird insgesamt davon abhängen, wie sehr man das Virus in den Griff bekommt und in das normale Leben integrieren kann. Ich glaube, man wird Covid-19 (oder was da noch an Abwandlungen kommt) impfen, behandeln, lindern können, man wird lernen, damit als gefährliche aber beherrschbare Krankheit umzugehen. Eine Art Normalität wird daraus entstehen, wir sind ja doch anpassungsfähig. Ob man sich aber dann noch auf riesigen Events im Gedränge mit zehntausenden Menschen wohl fühlt, das weiß ich nicht. Ich kann mir vorstellen, dass Kunst, Konzerte, Messen, Fasching und Feste andere Formate bekommen, entweder kleiner oder weitläufiger oder offener. Alle reden von Transformation. Vielleicht erleben wir hier ja eine.
Du hattest für „Good Souls“ sicher auch Pläne, die in diesem Jahr dann umgeworfen werden mussten?
Uns ging es wie den meisten in der Motorradindustrie, egal ob Firmenjubiläum, Messen, Kundenveranstaltungen, Wettbewerbe, Trainings … erstmal kam der große Lockdown. Dann das große Fragezeichen. Wir hatten schöne große Events zum Teil bereits fertig geplant, uns auf tolle Projekte gefreut, und dann von hundert auf null. Zuerst war ich total angefressen und grantig. Aber als klar war, 2020 wird nicht mehr „die Zeit der großen Auftritte“, entwickelten wir andere, flexiblere, offenere Formate. Das größte Event dieses Jahr zählte rund 400 Beteiligte (Fahrer*innen, Helfer, Orga, Eventteams usw.). Ein echtes Highlight, das wir organisieren durften. Die Menschen haben es genossen. Es waren sorgenfreie Tage.
Trotz Umdenken und viel mehr Einsatz, auch von deinen Kollegen: Konntest du aus dem Ganzen trotzdem ein positives Resümee ziehen?
Die Aussicht auf 2020 war im Januar einfach fantastisch: Wir standen in den Startlöchern, um volle Lotte durchorganisiert mit straffem Zeitplan durch die Events zu steuern. Wir hätten rechts und links einige neue Ideen entwickelt, tolle Leute getroffen, einen riesigen Spaß gehabt und Ende Oktober zum ersten Mal wieder Luft geholt. Das war genau, was wir wollten. Corona hat uns voll aus den Gleisen geschossen. Natürlich gab es spannende Impulse, die sonst niemals ihren Weg oder Raum gefunden hätten. Ja, das Jahr lief trotz allem sehr ordentlich. Es hätte uns wirklich schlimm treffen können. Wir haben vor allem gesehen, dass wir als Team auch mit derart gravierenden Richtungswechseln klarkommen, indem wir unseren Fokus auf Entwicklung gelegt haben, nicht auf die Beweinung des Zustands.
So wie wir dich kennen, ist dein Glas eher halb voll, als halb leer – sprich du bist ein sehr positiver Mensch. Wenn du an 2021 denkst: helfen dir da deine „positive vibes“ oder hast du eher gemischte Gefühle, was da noch alles kommen könnte?
Logischerweise starten wir in die neue Saison im angepassten Modus. Es ist auch möglich, dass es uns noch das eine oder andere verhagelt, aber insgesamt sind wir halbwegs robust aufgestellt. Schnelltests, Impfungen, Sommer-Sonne-Wärme und ein routinierter Umgang mit dem Virus dürften bis zum Saisonstart viele Aktivitäten in unserer Branche wieder möglich machen.
Anfang Juli gab es deutschlandweit Demos zu geplanten Beschränkungen für Motorradfahrer. Du hast dich sehr aktiv zu dem Thema eingebracht. Wärst du zu weiteren Schritten bereit, sollte sich die Gesetzeslage verschlechtern?
Hinter der Forderung nach leiseren Motorrädern steckt ein nachvollziehbarer Wunsch von Menschen, die durch den Geräuschpegel von vorbeifahrenden Motorrädern gestört werden. Das können Industrie und Politik im Ausgleich lösen. Ganz lautlos wird Straßenverkehr nicht werden, aber erträglicher. Das ist komplex aber machbar (und auch wünschenswert für andere laute Verkehrsmittel).
Was allerdings diesen Sommer passiert ist, war nicht weit weg von Kreuzzüglertum. Der Bundesrat hat mit einem durchgewunkenen Papier schweres Geschütz aufgefahren, einseitig und nicht von Sachkenntnis durchdrungen. Landeslärmschutzbeauftragter und kommunal alimentierter Lobby-Verein richten sich nicht gegen MOTOREN-Lärm sondern gegen MOTORRAD-Lärm. Mancher Politiker spricht dem Motorradfahren seine Berechtigung gleich ganz ab (nutzlos, umweltschädlich).
Foto: Stefan Thiel
In bundesweiten Motorraddemos stellten mehr als hunderttausend Fahrer*innen klar, dass man mit ihnen so eine Pauschalpolitik nicht machen kann.
Ich hoffe, der Bundestag stimmt den Streckensperrungen, dem „Tiroler Modell“ und weiteren seltsamen Forderungen des Bundesratspapiers nicht zu. Politik ist für das Gemeinwesen da, nicht für Klientel. Es ist schick geworden, aus hpyerindividualisiertem Befinden einen generellen Anspruch zu formulieren, egal ob Landstraßenrennfahrer oder Heugabelschwinger. Aber ehrlich: Jede/r nervt andere mehrfach täglich mit irgendwas. Wie viele Motorradlärmgegner fliegen über Zürich oder Stuttgart? Wer absolute Ruhe haben will, findet sie nicht in Dorf oder Stadt. Wer rasen will, muss auf die Renne.
Trotz allen Turbulenzen, die das Jahr 2020 gebracht hat: Man möchte annehmen, diese Motorradsaison war so gut wie für die Tonne. Aber beim genaueren Hinsehen ist man verblüfft. Die Saison war prall gefüllt mit echt guten Momenten. Was waren für dich die Highlights des Jahres?
Der intensivste Tag des Jahres war die Motorrad-Demo in Karlsruhe. Rick Lowag von der Rennleitung 110 und ich hatten Wochen vorher eine Sternfahrt mit Schweige-Demo für 700 bis 800 Teilnehmende auf dem Schlossplatz ordnungsgemäß angemeldet und verhandelt. Nagut, als die Demo München kurzfristig verboten wurde und das Wetter bombig wurde, rechneten wir mit ein paar mehr Moppeds. Ein bisschen nachdenklich wurde ich, als wir schon beim Treff bei Touratech frühmorgens am 4.7. deutlich mehr als 100 Teilnehmer waren. Als wir auf dem Sammelplatz in Rheinstetten ankamen, fiel ich fast vom Motorrad. Bei 30°C lief mein Visier von innen an … Platz und Straße knallvoll. 7000 bis 8000 Bikes.
Die Biker haben ein Statement gesetzt, es hat mich umgehauen.
Karin, vielen Dank für deine Zeit. Unser Online-Meeting hat wahnsinnig Spaß gemacht und wir hoffen, dass wir uns auch bald wieder “in Farbe und bunt” persönlich treffen können!
Interview mit Karin Birkel | Good Souls | 20. November 2020