Vor mittlerweile 21 Jahren, mit jugendlichem Leichtsinn und zu viel PS unter dem Hintern, erwischte mich das, was Motorradfahrer mit am meisten fürchten: ein Unfall mit dem Gegenverkehr. Bei einem Überholmanöver auf einer Landstraße hatte ich ein Auto übersehen, mit dem ich frontal kollidierte. Ich überlebte den Unfall mit einer Durchtrennung der Hauptschlagader und des Hauptnervenstrangs (Plexus brachialis) des rechten Armes. Ein Abriss aus der Wirbelsäule oder eine Durchtrennung des Plexus Brachialis bedeutet meist die endgültige Lähmung des Armes.
Meine Kawa GPZ 900 R hat es leider nicht überlebt und die noch zu verwendenden Überbleibsel wurden zur Teilespende frei gegeben.
Torsten “Elch” Krämer / Medieninformatiker & KFZ Mechaniker / Gründer der “Einarmhelden” & “Einbeinhelden”
Nichts desto trotz wollte ich weiter Motorradfahren!
1999 war das Internet noch in den Kinderschuhen aber ich machte mich trotzdem nächtelang auf die Suche. Schließlich fand ich einige Informationen, wie man mit einer Behinderung am Arm weiterhin Motorradfahren konnte. Meine Familie, wie sich die meisten schon denken können, war weniger begeistert — dies hielt mich aber auch nicht auf.
Nachdem ich das Krankenhaus verlassen hatte, machte ich mich auf, ein neues Motorrad zu finden. Es sollte diesmal lieber etwas gemächlicher ausfallen und auch eine hydraulische Kupplungsbetätigung besitzen. Die Wahl fiel auf eine Kawasaki VN15SE. Innerhalb von 6 Monaten bauten meine Freunde und ich das Motorrad um, so dass es mit einer Hand zu steuern war. Zusätzlich ließ ich mir noch eine Orthese bauen, damit ich den gelähmten Arm am Lenker fixieren konnte.
Jetzt kam der schwerste Part. Genau wie eine Brille oder ähnliches muss man eine Behinderung auch im Führerschein vermerken lassen. Dazu bekommt man Merkzeichen mit den Einschränkungen eingetragen.
Die Vorgehensweise:
- ein verkehrsmedizinisches Gutachten von einem Arzt erstellen lassen, dass man körperlich und mental (noch) zum Führen eines Fahrzeuges geeignet ist
- Beantragung der Fahreignungsprüfung auf der Führerscheinstelle
- Abnahme des Motorrades nach dem Umbau bei einer Prüfstelle (TÜV/Dekra etc.)
- eine Fahrschule finden, die Menschen mit behindertengerechten Fahrzeugen die Ausbildung (erneut) erlauben
- eine Prüfstelle (damals nur TÜV) ausfindig machen, die eine behindertengerechte Fahreignungsprüfung durchführen kann
Die meisten Aufgaben waren zwar recht einfach aber auch sehr zeitintensiv, da es nirgendwo eine Anleitung oder ein Register gab, welches einem weiterhelfen konnte. Bis auf den letzten Punkt, eine behindertengerechte Fahreignungsprüfung, hatte ich innerhalb der nächsten Monate alles gut über die Bühne bekommen.
Einen Termin hatte ich beim TÜV Service-Center Gießen – der Prüfer traute seinen Augen nicht und sagte mir wortwörtlich ins Gesicht: “Ich trage das nicht ein und wenn Sie eine Fahrprobe ablegen möchten, lasse ich Sie so fahren, dass Sie sich zu 100% hinlegen!” Ich war absolut entsetzt über solch eine Aussage des TÜV Prüfers, zwei Freunde konnten Schlimmeres verhindern. Unverrichteter Dinge zogen wir von dannen. Nach ein paar Tagen hatte ich einen Termin bei der TÜV Rheinland-Prüfstelle Aachen, es waren zwar über 200km Anfahrt – aber das hat sich gelohnt. Es wurden die Grundaufgaben abgenommen und zusätzlich noch eine Fahrt mit dem Motorrad durch Aachen. Es klappte alles reibungslos und der Prüfer händigte mir ein Gutachten aus, so dass ich jetzt endlich alles auf der Führerscheinstelle eintragen lassen konnte.
Nachdem ich immer mehr Anfragen wegen dem einarmigen Fahren bekam, habe ich 2019 Einarmhelden gegründet, um anderen Betroffenen diese Odyssee zu ersparen. Seitdem sind wir über 20 Mitglieder, die andere Motorradfahrer mit Handicap unterstützen. Im August findet unser erstes Treffen in Fladungen in der Rhön statt.
Seit Anfang 2020 ist auch noch das Projekt Einbeinhelden dazu gekommen, da es doch unterschiedliche Ansprüche an die Orthesen/Prothesen und an die Umbauten an Motorrädern für Menschen mit einer Behinderung an Fuß oder Bein gibt.
Motorrad fahren –trotz einer Behinderung– bedeutet für uns: Freiheit zu leben!
Wir sind stolz darauf, dass wir jetzt ein Teil der #wewanttobreakfree Familie sind und versuchen, das Netzwerk mit unserem Wissen und Kompetenzen zu unterstützen. Gerade in der aktuellen Zeit sollten Motorradfahrer jeglicher Art zusammenarbeiten und Grenzen überwinden! Freiheit zu genießen bedeutet aber auch respektvoll mit anderen umzugehen.
In diesem Sinne
Gruß Elch, von den Einarmhelden