The Show Must Go On
Ein Interview mit Fatma und Michael vom Race Café Berlin zum Thema Motorrad-Events in Corona-Zeiten
Seit 2015 ist das Built not Bought Motorradfestival eine feste Institution für all diejenigen, die ihr Alteisen gern über die Rennstrecke jagen. Jedes Jahr trifft sich im Juni die Crème de la Crème der Schrauber und Adrenalinjunkies zum Stelldichein auf dem Spreewaldring. Doch mit Corona ist dieses Jahr alles anders.
Während schon zu Beginn der Coronakrise europaweit so gut wie alle Motorradveranstaltungen bis weit ins Jahr 2020 hinein abgesagt wurden, haben die Organisatoren des Built not Bought nicht aufgegeben und dafür gekämpft, dass sich die BnB-Family trotz Maskenpflicht und Mindestabstand auf dem Spreewaldring zum gemeinsamen Fahren treffen durfte. Wir haben uns mit Fatma und Michael getroffen um zu erfahren, wie es ihnen gelungen ist die Veranstaltung trotz Auflagen und Einschränkungen stattfinden zu lassen.
In diesem Jahr wurden ja praktisch alle Motorrad-Events, insbesondere Publikumsveranstaltungen, mangels Planungssicherheit oder aufgrund zu hoher Auflagen abgesagt. Ihr habt hingegen nicht aufgegeben. Was musstet Ihr tun, damit wir hier sein können?
Micha: Wir mussten ja durchaus ein Opfer bringen, nämlich die Zuschauer. Die Entscheidung, dieses Jahr ohne Zuschauer zu fahren mussten wir schweren Herzens akzeptieren.
Fatma: Und sehr früh schon treffen um überhaupt eine Chance zu haben.
Micha: Dass große Publikumsveranstaltungen wie das Glemseck 101 ohne Zuschauer tot wären ist ja klar. Trotzdem wurden auch Trainings und andere Veranstaltungen abgesagt, die ohne Zuschauer stattfinden. Hier muss man zwei Dinge erwähnen: Erstens das wahnsinnige Risiko, das wir tragen. Wir haben ja noch ein anderes Leben, in dem wir Geld verdienen. BnB ist unser Hobby. Während andere Familien Ausflüge machen, läuft bei uns parallel zu den beruflichen und familiären Pflichten die Veranstaltungsorganisation. Ich selbst schreibe hunderte von Mails, Fatma organisiert unsere Listen. Es war echt schwer uns immer wieder zu motivieren da wir nicht wussten, ob wir alles umsonst machen. Wir verstehen jeden, der da irgendwann die Bremse zieht und aussteigt. Unser Vorteil war, dass wir alle Entscheidungen zu zweit treffen und nicht noch weitere Beteiligte fragen müssen. Sind mehrere Organisatoren im Spiel gibt es oft Uneinigkeiten, dann bricht so eine Veranstaltung schnell auseinander.
Der zweite Punkt ist natürlich der Umgang mit den Ämtern und da ist auch Glück im Spiel. Grundsätzlich ist für die Genehmigung das Ordnungsamt zuständig. Der zuständige Sachbearbeiter war zunächst bereit die Veranstaltung zu genehmigen, da ja Veranstaltungen bis 1.000 Leuten erlaubt seien, wollte sich aber noch bei seinem Vorgesetzten vergewissern. Nachdem eineinhalb Wochen nichts passiert ist habe ich den Chef des Ordnungsamtes kontaktiert und ihm unseren Antrag geschickt. Da haben wir schon versichert, dass es keine Zeitnahme, keine Zuschauer, keine Party, kein Lagerfeuer und sowas in der Art geben wird, sondern nur ein reines Fahrtraining. Dann hieß es, das könne man doch nicht entscheiden, wir müssten das Gesundheitsamt fragen aber es sähe eher schlecht aus. Daraufhin habe ich beim Gesundheitsamt nachgehakt wo unser Antrag wieder von einem Sachbearbeiter zum nächsten geschoben wurde. Man hat gemerkt die spielen auf Zeit und spekulieren darauf, dass wir die Veranstaltung absagen wenn lang genug keine Zusage kommt. Keiner wollte sich den Schuh anziehen uns eine Genehmigung oder eine Absage zu erteilen. Am Pfingstsonntag habe ich dann nochmal ein Schreiben an das übergeordnete Ordnungsamt aufgesetzt und darauf hingewiesen, dass wir die Auflagen der Eindämmungsverordnung kennen und einhalten. Außerdem habe ich geschrieben, dass wir das Gelände bereits gemietet haben und das Training stattfinden wird. Und dass alle Fahrer schon über die Auflagen wie Mindestabstand, Maskenpflicht usw. informiert wurden. Da haben die dann gemerkt, dass es ernst ist und sie sich positionieren müssen. Schließlich hat sich die Chefin des Gesundheitsamtes gemeldet und sich für uns stark gemacht. Am Dienstag nach Pfingsten um 21:22 Uhr hat sie uns dann noch die Genehmigung geschickt, 9 Tage vor Ankunft unserer Fahrer.
Ein richtiger Krimi, oder?
Micha: Fatma sagt immer, ich kann nicht verlieren. Aber es geht mir nicht ums Gewinnen sondern einfach darum, dass ich Ungerechtigkeit absolut nicht leiden kann. Bei Sachen die nicht logisch sind flippe ich einfach aus. Wenn ich eine Eindämmungsverordnung habe in der bestimmte Sachen drinstehen und ein Sachbearbeiter vom Amt labert da einfach drumrum, das kann ich nicht akzeptieren.
Fatma: Wir ergänzen uns da ganz gut. Ich bin eher die Vorsichtige und denke mir nicht nur, „Was wollen wir?“ sondern „Was wollen unsere Teilnehmer?“. Ich überlege mir dann welche Bedürfnisse wir erfüllen müssen, auch wenn wir vielleicht manchmal finden, dass das nicht sein müsste. So finden wir immer einen guten Weg, für alle Beteiligten das Optimum zu erreichen. Micha versucht zwar dann manchmal heimlich noch weiter zu planen …
Micha: Deswegen sind wir am Donnerstag auch eine halbe Stunde zu spät gekommen. Ich musste noch schnell Holz hacken weil im Auto noch Platz für die Feuertonne war.
Fatma: Meine Güte!!!
*Gelächter*
Micha: Wir haben uns dann aber doch entschieden, die Feuertonne nicht aufzustellen.
Fatma: Die Teilnehmer hätten das bestimmt ganz gut hinbekommen mit dem Abstand. Aber wenn doch etwas passiert wäre, wenn wir also einen Hotspot verursacht hätten, dann hätten die Behörden sämtliches Bildmaterial der Veranstaltung eingezogen um uns ein Fehlverhalten nachzuweisen. Und das Fazit wäre, dass wir unter Umständen ein riesen finanzielles Problem bekommen hätten, wenn Strafen oder Regresszahlungen auf uns zugekommen wären. Aber vor allem hätte das einen Stop bedeutet für alle Veranstaltungen, die nach BnB stattgefunden hätten. Wir wollten aber ein Paradebeispiel dafür sein, dass es funktionieren kann ohne, dass etwas passiert. Damit die Behörden sagen, „Mensch, da hat doch das BnB stattgefunden, das hat doch auch funktioniert.“ Auch als Hilfestellung dafür, dass wir alle zusammen wieder aus dieser aktuellen Starre herauskommen.
Niemand wäre Euch böse gewesen, wenn Ihr irgendwann gesagt hättet, dass BnB heuer ausfällt. Warum habt Ihr nicht aufgegeben?
Fatma: Zweimal hatten wir eine Phase wo es kurz vorm Kippen war. Einmal ziemlich am Anfang, da haben wir aber gesagt wir machen weiter weil wir 80 % der Fahrer kennen und wussten, auf die können wir uns verlassen. Beim zweiten Mal war natürlich der finanzielle Aspekt ganz groß. Aber wir wollten die Veranstaltung einfach nicht sterben lassen. Ein Jahr Ausfall kann große Auswirkungen auf die kommenden Jahre haben. Und wir haben mit unseren Fahrern geblutet, die dieses Jahr größtenteils noch kein einziges Mal auf der Rennstrecke waren. Wir wollten ihnen wenigstens das Fahren ermöglichen, wenn schon kein Rennen und keine Zuschauer erlaubt waren. Dann haben wir angefangen uns die Finanzen anzuschauen und haben festgestellt, dass wir ohne Zuschauer und ohne Rennen definitiv das ganze Jahr für Lau gearbeitet haben. Das haben wir abgehakt und gesagt wir wollen einfach, dass BnB überlebt. So wollten wir wenigstens die Vorfinanzierung der Werbemaßnahmen für kommendes Jahr reinbekommen, damit wir dann nicht nochmal aus der eigenen Tasche dazubuttern müssen. Das war unser Ziel und da haben wir die Grenze gesetzt. Hätten wir das nicht hinbekommen, hätten wir uns nochmal ganz tief in die Augen schauen und eine Entscheidung treffen müssen. Aber andererseits wäre uns dann ganz schön langweilig gewesen. Durch den Lockdown hätten wir wenigstens zeitlich keinen großen Entscheidungsdruck, da ja sonst nicht viel zu tun war. Dachten wir.
Wie habt Ihr in dieser Planungszeit den Lockdown erlebt? Homeoffice, Homeschooling, Ausgangsbeschränkung – das macht ja psychisch was mit einem, oder?
Fatma: In dieser Hinsicht haben wir Corona tatsächlich ein wenig unterschätzt. Plötzlich waren wir auch noch Lehrer und Psychologen. Viele unserer Angestellten im richtigen Leben waren durch die Situation sehr verunsichert und wir mussten viele Meetings machen, sie immer wieder auffangen, bis es allen wieder gut ging.
Micha: Da kam dann die Erkenntnis, wir haben eigentlich gar nicht so viel mehr Zeit als ohne Corona. Im Gegenteil. Fatma konnte unter Tags kaum etwas für BnB machen.
Fatma: Aber schließlich hat dann alles hingehauen. Mittlerweile ist es auch Tradition bei uns, dass es in der Woche vor BnB einmal so richtig kracht aber danach wissen wir, es kracht kein zweites Mal. Danach geht´s weiter. Man kann ja auch nicht mittendrin aufhören und sagen man hat keinen Bock mehr.
Wie seid Ihr überhaupt auf die Idee gekommen Built not Bought ins Leben zu rufen? Ihr selbst habt ja von der Veranstaltung außer viel Arbeit gar nichts? Micha ist selbst keinen einzigen Turn gefahren. Warum tut Ihr das?
Fatma: Die Ausgangssituation war, dass wir von Brandenburg nach Berlin gezogen sind und damit das Fahren für Micha praktisch gestorben war. Deshalb fing Micha mit der Rennstrecke an, mit schwerem Eisen, seiner Harley Sportster. Da meistens nur Heizer auf der Strecke unterwegs waren dachte Micha irgendwann, warum nicht mal mit Gleichgesinnten fahren?
Micha: 2011 hatten wir deshalb zum ersten Mal das Twins Meet Classics Rennstreckentraining auf dem Spreewaldring veranstaltet. Danach waren wir so fertig, dass wir sowas eigentlich nie wieder machen wollten. Da haben wir von Klofrau über Instruktor bis zur Kaffeetante alles gemacht. Aber die Fahrer waren total begeistert und wollten, dass wir weiter machen. Die Fahrerdatenbank ist immer weiter gewachsen und irgendwann haben wir festgestellt, dass unter den Fahrern lauter interessante und coole Typen waren, der eine Tankdengler, der andere Lackierer, ein ehemaliger Rennfahrer. Und da dachten wir, können wir doch was draus machen.
Fatma: Dazu muss man sagen, ich fahre selbst nicht Motorrad, höchstens als Sozia. Micha hingegen hat den vollen Überblick über die Szene. Mich hat eher der soziale Aspekt gereizt. Und die Fahrer hatten teils super interessante Historien aufzuweisen.
Micha: Da war einfach ein riesen Potential. Zudem hatten wir kurz vor dem ersten BnB unseren alten englischen Doppeldeckerbus gekauft, den wir ausgebaut haben und als Treffpunkt für Benzinmenschen in Berlin postieren wollten. So ist letztlich das Race Café Berlin entstanden. Allerdings haben wir nach zwei Jahren immer noch keinen Standplatz in der Stadt gefunden, an dem laute Oldtimer und Trubel akzeptiert werden und der sich somit als Treffpunkt geeignet hätte. Außerdem wollten wir wie eine Bombe einschlagen. Deshalb haben wir uns 2015 entschlossen, mit dem ersten BnB gleich in die Vollen zu gehen.
Fatma: Anfangs dachten wir noch, Micha könnte bei BnB ebenfalls an den Start gehen aber mittlerweile wissen wir, dass das nicht funktioniert.
Micha: Diesmal hätte es zeitlich zwar geklappt, aber die Kraft war dann weg. Wir haben organisatorisch ja alles was ging in die letzten zwei Wochen geschoben.
Noch zwei Fragen zum Schluss: Wie kommt Ihr nach BnB wieder zu Kräften und wie soll es mit BnB – ob mit oder ohne Corona – weitergehen?
Fatma: Nach BnB geht´s erstmal im Eiltempo weiter, denn alles was im Büro liegen geblieben ist, muss schnellstens aufgearbeitet werden. Da ist Micha gefordert. Ich bin vor allem mit Restarbeiten von BnB beschäftigt. Wenn das geschafft ist, schalten wir für ein paar Tage das Handy aus, gehen zu dritt raus in die Natur, an den See, um wieder Kraft zu tanken. Danach läuft erstmal alles normal weiter und im Sommer machen wir dann nochmal drei Wochen am Stück Ferien im Spreewald. Radfahren, Paddeln und Baumhaus bauen, da freuen wir uns jetzt schon drauf.
Micha (*lacht*): Und ich muss mich für Groß Dölln im Juli vorbereiten. Die Jungs von der Rennleitung haben schließlich einen riesen Vorsprung weil die alle schon gefahren sind.
Und wie sieht´s mit nächstem Jahr aus?
Fatma: Wir rechnen damit, dass sich das Thema Corona bis dahin entspannt bzw. dann alle schon Erfahrung hinsichtlich Corona und Veranstaltungen haben. Entweder gibt es nochmal ein ähnliches Corona-BnB wie diese Jahr. Oder es stellt sich raus, dass alles gar nicht so schlimm ist, dann geht es ganz normal mit BnB weiter. Aber die Entscheidung interessiert uns eigentlich erst wieder zwei Wochen vor dem nächsten Termin. Bis dahin machen wir wie gewohnt weiter, so als ob es Corona gar nicht gäbe.
Micha: Wir planen 2021 ganz klassisch und hoffen, dass es wieder ein traditionelles Built not Bought Motorradfestival wird, mit Rennen, Zuschauern und BnB-Party.
Das Race Cafe Berlin findet ihr unter www.racecafe.berlin und bei Facebook: www.facebook.com/racecafeberlin/
Ihr habt Appetit auf das Abenteuer Rennstrecke bekommen? Kein Problem. Schaut doch mal bei Twins Meet Classics vorbei. Rennstrecken-Neulinge aber auch alte Hasen können hier ihr altes Eisen ohne Zeitnahme und Zuschauer auf der Rennstrecke ausführen.
Pia Motorella | www.motorella.art | 9. Juli 2020